Wenn alles möglich wäre – oder: Was im Leben zählt

NGeldregeneues von der Fee: Eine humorvolle und zauberhafte Geschichte zum Thema Selbstmanagement und was im Leben zählt.

Die Fee summte fröhlich vor sich hin, während sie den Abwasch machte. Ihr letzter Einsatz als Wunschfee beschwingte sie immer noch. Doch allmählich könnte auch mal ein neuer Auftrag kommen – langsam wurde es wieder langweilig. Und weil es ja keine Zufälle gibt, trötete genau in diesem Moment ihr Diensthandy. Na endlich, dachte die Fee gut gelaunt.

Zwei Minuten später war der Auftrag klar: Der Versicherungsangestellte Marc, Anfang vierzig, versank im Stumpfsinn seines monotonen Alltags und benötigte dringend ihre Hilfe. Flugs ergriff sie ihren Zauberstab und machte sich auf den Weg.

Sie traf Marc alleine in seinem Wohnzimmer vor dem Fernseher an. Da saß er eigentlich jeden Abend. Seine Frau war beim Aqua Fit. Gelangweilt schaute Marc die Folge einer Krimiserie. Die Fee fackelte nicht lange und erschien mit einem lauten „Plöpp“ mitten im Wohnzimmer von Marc. Das Plöpp-Geräusch war eigentlich gar nicht nötig, aber es gefiel ihr so gut mit einem schönen Sound-Effekt aufzutreten.

Erschrocken blickte Marc auf und sah sie ängstlich an.
„Wer sind Sie – und was machen Sie in meinem Wohnzimmer? Und wie kommen Sie überhaupt hier rein?“

So ist es fein, dachte sich die Fee. Ein wenig Respekt hat noch niemandem geschadet. Doch Angst alleine reichte nicht, damit sie ihren Auftrag erfolgreich ausführen konnte. Marc brauchte eine klare Ansprache, um ihn aus seiner Monotonie aufzuwecken. Jetzt war Showtime!

„Es spielt überhaupt keine Rolle, wer ich bin – oder wie ich hier reingekommen bin. Wichtiger ist, wie Du traurige Gestalt wieder rauskommst.“

Marc schaute erst überrascht – und dann ärgerlich. „He, was erlauben Sie sich? Und wo soll ich überhaupt rauskommen?“

„Aus Deiner stumpfen Resignation und Monotonie!“, schleuderte sie ihm entgegen.

Marc blieb der Mund offen stehen. „Wie kommen Sie darauf…?“

„Ach, hör auf. Das sieht man doch drei Meilen gegen den Wind, dass Du Jammerlappen nichts aus Deinem Leben machst.“ Der Schuss saß – das konnte die Fee genau in Marcs Gesicht ablesen.

„Na hören Sie mal!“, empörte er sich wütend – und vergaß dabei ganz, dass er immer noch nicht wusste, was dieser merkwürdige Auftritt zu bedeuten hatte. „Natürlich mache ich was aus meinem Leben! Ich habe einen verantwortungsvollen Job und verdiene richtig gutes Geld. Und ich bin glücklich verheiratet. Das reicht doch wohl für zwei Leben!“

Er beginnt sich in Rage zu reden, bemerkte die Fee zufrieden. Jetzt ist er bald reif.
„Du meinst den Job, der Dich jeden Tag so anödet, dass Du morgens kaum die Energie findest, zur Arbeit zu gehen? Und die Ehe mit der Frau, mit der Du kaum mehr als drei Worte pro Tag wechselst?“

Marc wurde blass.
„Was… woher… verdammt. Was geht Sie das eigentlich an?“

„Es ist mein Job, Loosern wie Dir unter die schlaffen Arme zu greifen.“

„Jetzt gehen Sie entschieden zu weit. Vielleicht ist mein Leben nicht perfekt – aber ich muss mich in meinem eigenen Wohnzimmer nicht von einer wildfremden Frau beleidigen lassen!“

Jetzt hat er Betriebstemperatur, entschied die Fee.
„Ok, ok, ich nehme den Looser zurück. Aber wenn Dein Leben nicht ganz perfekt ist: Was hättest Du denn gerne anders?“

Anscheinend war ihr Timing wieder einmal genial, denn Marc begann tatsächlich sofort zu überlegen. Unglaublich, was eine gute Frage bei Betriebstemperatur alles bewirken konnte.

„Nun, auf der Arbeit ist es wirklich nicht sooo perfekt. Jeden Tag das Gleiche. Und dann diesen super Kontrolletti als Chef. Da würde ich mir mehr Abwechslung wünschen. Und einen anderen Chef. Und natürlich mehr Gehalt.“

Es läuft, grinste die Fee in sich hinein.
„Und sonst?“, forschte sie weiter.

„Na ja, wo Sie vorhin schon meine Ehe angesprochen haben. Wir verstehen uns eigentlich ganz gut. Streit gibt es selten. Aber irgendwie ist auch der Pepp raus – nach fünfzehn Jahren Ehe. Ich fänd es schön, wenn es wieder mehr knistern würde.“

Perfekt, entschied die Fee. Jetzt das große Finale.
„Marc – tut mir leid, wenn ich Dich vorhin so beleidigt habe. Du scheinst ein wirklich anständiger Mensch zu sein. Und weil das so ist, schenke ich Dir eine ganz besondere Gabe.“

„Hältst Du Dich für eine Fee, oder was?“ Marc schaute einigermaßen irritiert.

„Treffer und versenkt!“, lächelte sie ihn an.

„Mal angenommen, es gäbe wirklich Feen – was ich aber absolut nicht glaube – welches Geschenk würdest Du mir dann machen wollen?“, erkundigte Marc sich skeptisch – aber auch ein wenig neugierig.

„Ich würde Dir schenken …“
Theatralisch hob sie den Zauberstab und ließ ein paar Funken herauswirbeln.
„… dass jeder Wunsch, den Du hast, in Erfüllung geht.“

Zum Abschluss fügte sie noch ein sattes und absolut unnötiges Plöpp hinzu.

Zunächst herrschte Schweigen im Raum. Und dann kicherte Marc. Zunächst ganz leise. Dann immer lauter. Zum Schluss bog er sich vor Lachen, dass ihm die Tränen über das Gesicht rannen.

„Du bist vielleicht eine Nummer!“, jappste er und rang nach Luft.

Die Fee war leicht pikiert. Eine solche Reaktion hatte sie noch nie erlebt. Wo war nur die Ehrfurcht – oder ein wenig Dankbarkeit? In dem Moment hörte man vor dem Haus einen Wagen vorfahren.

„Sie sollten jetzt besser verschwinden – meine Frau kommt nach Hause. Und ich habe wirklich keine Lust ihr das hier zu erklären. Aber verschwinden Sie bitte mit einem leisen Plöpp.“

Er begann wieder zu kichern. Du wirst Dich noch wundern, dachte die Fee.
„Bevor ich gehe: Was ist denn Dein erster Wunsch?“, erkundigte sie sich.

„Dass meine Frau frisches Baguette mit Tomaten-Mozarella zum Abendbrot mitbringt.“ Er kicherte immer noch. „Jetzt aber schnell – raus mit Ihnen.“

Die Fee seufzte. So hatte sie sich ihren Abgang nicht vorgestellt. Aber was soll’s. Mit einem lauten Plöpp verschwand sie. Das hatte Marc verdient mit seinem Gekicher.

Marc ließ sich auf’s Sofa fallen und kicherte immer noch, als die Wohnungstür sich öffnete. Das muss ich geträumt haben, dachte er. In dem Moment kam seine Frau ins Wohnzimmer.

„Schatz, ich habe frisches Baguette mit Tomaten-Mozarella mitgebracht.“, rief sie ihm gutgelaunt entgegen.

Völlig entgeistert starrte er sie an. Das muss Zufall sein, keuchte er in sich hinein.

„Was ist denn mit Dir los? Geht’s Dir nicht gut?“, erkundigte sich seine Frau erstaunt.

„Nein, nichts, alles gut.“, stotterte er. „Tomaten-Mozarella-Baguette ist großartig.“

Seine Frau warf ihm noch einen skeptischen Blick zu, verschwand dann aber mit ihren Einkäufen in der Küche. Das kann unmöglich wahr sein, grübelte Marc. Es gibt keine Feen. Und erst recht keine, die einfach so reinplatzen und Wünsche erfüllen.

Aber wenn doch?

Ich mache einfach einen Test, entschied er. Ich wünsche mir, dass wir für morgen eine Einladung zum Grillen von Jürgen bekommen. Jürgen war sein bester Freund und ein begnadeter Grillmeister. Er meinte noch ein leises Plöpp zu hören als das Telefon klingelte.

„Ich gehe dran.“, rief ihm seine Frau aus der Küche zu. Eine Minute später kam sie ins Wohnzimmer. „Da ist Jürgen am Telefon. Haben wir Lust morgen zum Grillen vorbei zu kommen?“

Marc schnappte nach Luft. Oh man, oh man, oh man. Das klappte ja wirklich. Er brauchte keine Psychiater, sondern verdammt gute Wünsche. Er kicherte.
„Natürlich haben wir Lust!“, rief er laut und strahlte wie ein Sendemast.

Irritiert sah seine Frau ihn an. Vermutlich dachte sie, er hätte nicht mehr alle Latten am Zaun. Aber das war ziemlich egal, wenn man sich alles wünschen konnte.

Beim Abendessen grübelte er still vor sich hin. Was könnte er sich wünschen? Die Möglichkeiten waren so erschlagend, dass ihm nichts Sinnvolles einfiel. Seine Frau bemerkte nichts von dem Sturm in seinem Inneren, weil sie wie immer in der Zeitung las. Die Fee hatte irgendwie schon recht: Wir leben eher nebeneinander her als zusammen.

Vielleicht wäre es ein Anfang, wenn wir mal wieder was zusammen machen würden. Kino zum Beispiel. Seine Frau blickte über den Rand der Zeitung zu ihm und fragte: „Schatz – im Kino läuft der neue Film mit Richard Gere. Hättest Du spontan Lust heute Abend ins Kino zu gehen?“ Und ganz leise hörte er in dem Moment ein Plöpp.

Unglaublich, jubelte Marc innerlich. Das gefällt mir! Gut gelaunt fuhr er am nächsten Tag zur Arbeit. Es war ein wundervoller Abend mit seiner Frau gewesen. Nach dem Kino hatten sie noch ein Glas Wein zusammen getrunken und sich lange unterhalten. Er konnte sich kaum daran erinnern, wann sie das letzte Mal einen so vertrauten Abend miteinander verbracht hatten.

Jetzt fehlt nur noch, dass mein Chef kündigt und mir sein Job angeboten wird – bei Verdopplung meines Gehalts. Und irgendwie war er nicht wirklich überrascht, als wenige Minuten nach Arbeitsbeginn sein Telefon klingelte und er in die Personalabteilung gerufen wurde – während leise ein Plöpp verhallte.

Alles war auf einmal möglich, er brauchte es sich nur zu wünschen.

Die nächsten Wochen setzte er viele Wünsche ein, um die Beziehung zu seiner Frau wieder lebendig zu gestalten. Auf der Arbeit genoss er die neue Rolle als Führungskraft. Endlich konnte er etwas gestalten. Allerdings zeichneten sich hier ziemlich schnell erste Konflikte mit seinem neuen Chef ab, der sein Veränderungstempo nicht mitgehen wollte. Kein Problem, dachte sich Marc. Dann wünsche ich mir halt den Job meines neuen Chefs.

Diesmal war es ein ganz schön lautes Plöpp.

Sein Aufstieg in der Firma war kometenhaft. Nach nicht mal zehn Monaten wurde er vom Aufsichtsrat als Vorstand bestellt. Jetzt krempeln wir den Laden mal gründlich um, nahm er sich energisch vor.

Er stellte allerdings schnell fest, dass ihm das „Umkrempeln“ auf natürlich Weise – also ohne den Einsatz von Wünschen – kaum gelang. Selten konnte er seine Vorstandskollegen von einer Idee überzeugen. Und auch die Führungsriege unter ihm war irgendwie sperrig.

Das ist total ermüdend, resümierte er eines Abends, als er mit einem Glas teuren Whiskey auf der Dachterrasse seines neuen Penthouses saß. Keiner mag meine Ideen als Vorstand. Wenn ich es mir wünsche, läuft alles wie am Schnürchen. Aber als Mensch kann ich anscheinend niemanden überzeugen. Vielleicht sollte ich aufhören zu arbeiten, unverschämt viel Geld im Lotto gewinnen und das Leben genießen

Einige laute Plöpps später gehörte Marc zu den reichsten Menschen dieses Planeten und führte ein phantastisches Leben. Mit seiner Frau reiste er um die Welt, kurvte in luxuriösen Yachten über das Mittelmeer und hatte jeden Abend ein dutzend Einladungen zu den exklusivsten Partys.

Er konnte jederzeit genau das tun, was er wollte. Alle Menschen buhlten darum, in seiner Nähe sein zu dürfen. Alles passierte immer genau so, wie er es wollte.

In der Zeit hörte man das Plöpp kaum noch. Marc vergaß fast, dass er sich alles wünschen konnte, weil er bereits alles hatte.

Eines Abends saß er mit seiner Frau auf dem Deck einer teuren Luxusyacht, ein Glas Champagner in der Hand, und starrte versonnen in den Nachthimmel.

„Irgendwie ist es langweilig.“, sprach sie seine Gedanken aus.

„Das dachte ich auch gerade.“, entgegnete er und nickte grimmig.

„Wir können wirklich alles machen, was wir wollen. Aber trotzdem kommt mir alles so sinnlos vor. Es fehlt die Herausforderung.“, beschrieb sie ihre Gedanken.

Marc nickte stumm. Nach einer Weile fuhr sie zögernd fort.

„Und ich fühle mich einsam. Wir haben jeden Kontakt mit unseren alten Freunden verloren. Oder hast Du in den letzten Monaten mal was von Jürgen gehört?“

Wehmütig dachte Marc an die tollen Grillabend mit seinem besten Freund. Aber die hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Vor lauter um-die-Welt-jetten und Partys hatte er noch nicht einmal daran gedacht, Jürgen anzurufen. Dieser Gedanke machte ihn sehr traurig. Wie gerne würde er mal wieder mit eine Flasche Bier in der Hand am Grill stehen und rumblödeln.

Und plötzlich hatte er noch einen Wunsch: Mal wieder am Schlagzeug sitzen und richtig losrocken – so wie als Teenager. Mit Jürgen an der Gitarre.

„Ich möchte eine Stiftung gründen.“, unterbrach ihn seine Frau. „Ich glaube, wir brauchen das ganze Geld gar nicht. Lass uns doch einfach Kitas in ganz Deutschland gründen, die super ausgestattet sind. Als soziales Projekt. Ich glaube, das würde mich ausfüllen und meinem Leben einen Sinn geben.“

Es versetzte ihm einen Stich als sie das sagte. Kinder waren ein wunder Punkt bei ihm. Gerne hätten sie beide Kinder gehabt.

Und plötzlich war ihm alles ganz klar.

„Mein Schatz – ich möchte ein Kind mir Dir.“, sagte er und nahm ihre Hand. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Ich möchte auch ein Kind mit Dir! Aber wir haben es so oft probiert – Du weißt, dass es nicht klappt.“

„Ich glaube, heute Nacht wird es klappen.“, versicherte er.

Es plöppte leise.

Marc saß auf dem Sofa. Vor dem Haus hörte man den Wagen seiner Frau vorfahren. Sie kam vom Aqua-Fit. Er öffnete die Augen und sah die Fee an, die mitten im Wohnzimmer stand.

„Das war alles nur ein Traum, stimmt’s?“ Die Fee nickte ernst.

„Ja, das ist alles nur in Deinem Kopf passiert. Ich kenne nun Deinen größten Wunsch. Und diesen einen werde ich Dir erfüllen.“

Er wusste sofort, was sie meinte. Seine Augen wurden feucht.

„Es war so verdammt real.“, stellte Marc fest.

Die Fee warf sich in die Brust und schaute ihn stolz an.
„Nicht wahr – von der Realität nicht zu unterscheiden.“, bestätigte sie zufrieden.

„Was freue ich mich darauf, mal wieder mit Jürgen zu grillen.“

Die Wohnungstür öffnete sich. Mit einem leisen Plöpp verschwand die Fee.

„Schatz, ich habe frisches Baguette mit Tomaten-Mozarella mitgebracht.“, rief seine Frau ihm gutgelaunt entgegen. Er freute sich so sehr, sie zu sehen, dass es seinem Herzen in der Brust fast zu eng wurde.

Neun Monate später wurde Marc Vater eines süßen Mädchens. Bei der Geburt war ein lautes Plöpp zu hören, so dass sich alle im Kreißsaal irritiert umschauten. Marc musste grinsen und sandte ein leises Dankeschön an die Fee.

Er begann wieder Schlagzeug zu spielen und startete mit Jürgen ein neues Bandprojekt. Sie nannten sich „Traumfee“ und spielten rockige Mittelaltermusik. Nach drei Jahren gründete er mit seiner Frau zusammen einen Verein, um eine private Kita zu führen. Heute unterhält der Verein drei Kitas. Wegen der kleinen Gruppen und der guten Ausstattung gibt es lange Wartelisten.

Sein Chef hat nie gekündigt und sitzt ihm immer noch im Nacken. Aber das ist ihm mittlerweile egal.